Antiziganismus – von Politiker_innen benutzt, von Medien verbreitet

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Ausgrenzung von Arbeitsmarkt und Bildung, Vertreibung, Verfolgung, aber auch gewalttätige Ausschreitungen und tödliche Gewalt – die Bandbreite antiziganistischer Praktiken ist groß und hat fatale Auswirkung auf das Leben von als «Zigeuner» wahrgenommenen Menschen. Was den Boden für Antiziganismus bereitet, welche Funktionen er erfüllt und was man dagegen machen kann, darüber sprach Ulli Gladik mit dem Politologen Markus End, Doktorand am Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin.
Du stellst am Anfang deiner Vorträge immer klar, dass du zwar über Antiziganismus forschst, nicht aber über Rom_nia. Warum?
Ich gehe davon aus, dass Antiziganismus wie eine Kommunikationsstruktur funktioniert, die alle verstehen und über die sich die Mehrheitsgesellschaft verständigen kann. Diese antiziganistische Struktur hat mit Rom_nia und Sinti_zi dann etwas zu tun, wenn sie zu Diskriminierungen führt. Vielmehr geht es aber um die Vorstellungswelt der Mehrheitsgesellschaft.
Als ich erstmals eine Romni kennen lernte, habe ich entdeckt, dass ich viele Bilder über Roma bzw. «Zigeuner» in meinem Kopf habe. Etwa dass sie irgendwie «besonders» wären, oder aber dass ich «aufpassen» müsse. Obwohl ich mich viel mit dem Thema Stereotypenbildung beschäftigt habe, finde ich noch immer gewisse Denkmuster über Minderheiten in meinem Kopf, positive als auch negative. Das ist bei mir nicht anders. Das ist was, was sehr tief sitzt. Selbst kleine Kinder wissen, bevor sie das Wort «Zigeuner» selbst verwenden, was damit gemeint ist. Diese Stereotype kommen in sehr vielen verschiedenen Formen vor. Auch in Comics oder in Kinderbüchern, dort sind es immer Randfiguren, für die das Wort «Zigeuner» benutzt wird.        Wie arbeitest du bei deiner Forschung? Ich untersuche diese vorhin angesprochene Kommunikationsstruktur. Die ist ja fest etabliert. Ich analysiere Texte vom späten 18. Jahrhundert bis heute, gerade zum Beispiel ein Kinderbuch. Das heißt «In meiner Sprache gibt‘s kein Wort für morgen». Die Autorin hat mit Sinti_zi gelebt. Sie beschreibt ihre Erfahrungen und ist dabei freundlich und wohlmeinend, aber sie reproduziert auch viele Stereotype.
Das passiert ja auch oft …
Es gibt eben auch dieses positive, romantische Bild von «Zigeuner» – vor allem auch in linken Diskursen, die aber an die «Zigeunerromantik» des späten 19. Jahrhunderts anknüpfen. Auch diese romantischen Stereotype sind gefährlich, sie funktionieren letztendlich ebenso wie die ablehnenden Stereotype. 
Ich habe immer wieder erlebt, dass Rom_nia als homogene Gruppe wahrgenommen werden, obwohl sie das ja nicht sind.  Im Ressentiment gegen Muslime wird z.B. auch nicht unterschieden zwischen Schiit_innen und Sunnit_innen, oder zwischen säkularen und streng religiösen Muslimen. Für die, die ein Ressentiment haben, für die sind «die» alle gleich. Zudem muss man sich aber auch fragen, was eine Ethnie denn eigentlich sein soll. Man kann ja nicht genau sagen, was z.B. einen Österreicher oder eine Deutsche ausmacht, außer dass das im Pass steht. Wenn versucht wird, das mit sprachlicher Abstammung zu definieren, dann wird es noch schwieriger. Da ist man schnell in einem Diskurs, der rassistisch ist. Genauso wenig geht das bei Rom_nia. Man kann nicht definieren, wer ein_e Rom_ni ist und wer nicht.

Warum sind die Vorurteile gegen Rom_nia allerorts so ähnlich?
Diese Kommunikationsstruktur des Antiziganismus wird über die Grenzen hinweg weitergegeben. Wenn ich sage, das hat nichts mit Rom_nia zu tun, dann ist das ein Ansatz in der Tradition der Kritischen Theorie: Das, was in der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt und verboten ist, wird als «Zigeuner»-Bild auf Rom_nia projiziert. Die Ursachen für Antiziganismus sehe ich zum Beispiel in der Entwicklung der Nationalstaaten. Damit wurde Nationalismus und nationale Identität so wichtig. Oder in der Entwicklung der Arbeitsgesellschaft: Nichts tun und nicht produktiv sein wurde immer mehr geächtet.    Bei antiziganistischen Ausschreitungen tragen die Teilnehmer_innen häufig die jeweilige Nationalflagge mit. In den Köpfen sind «wir» die Deutschen, die Tschech_innen, die Bulgar_innen, und das Andere, das sind die «Zigeuner». Und das, was für die «Wir»-Gruppe als nicht akzeptabel gilt – z.B. nicht arbeitsam zu sein, oder unfair miteinander umzugehen – das wird der Minderheit zugeschrieben. Jedes Vorurteil sagt deshalb vor allem was über die «Wir»-Gruppe aus.
Sind die Verunsicherungen der Menschen aufgrund der Wirtschaftskrise nun die Ursache für die Ausschreitungen? 
Die Krise ist eher als Anlass für die Ausschreitungen zu sehen, als ein Radikalisierungsfaktor, aber nicht als die Ursache. Es hängt natürlich davon ab, wie es der Gesellschaft gerade geht, aber der Antiziganismus ist ohnehin vorhanden.

Warum richtet sich der Hass der Menschen nicht gegen die Großkonzerne, oder gegen die Mafiosis in der Regierung, sondern gegen Gruppen, die sich kaum wehren können?   Ich orientiere mich theoretisch unter anderem an den «Elementen des Antisemitismus» einem Kapitel aus der «Dialektik der Aufklärung» von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Bezüglich der Arbeitsverhältnisse in der modernen Gesellschaft stellen Horkheimer/Adorno die These auf, dass die «betrogenen Massen» erkannt haben, dass es eigentlich nicht mehr nötig wäre, sich tagtäglich abzurackern, dass eine andere Gesellschaft möglich wäre. Da ihnen gleichzeitig jedoch bewusst ist, dass die Möglichkeit zur Veränderung in der Realität verstellt ist, müssen sie eine solche Möglichkeit verdrängen. Deswegen werden jene verfolgt, die vermeintlich bereits das «schöne Leben» ohne Arbeit führen. Also werden die «Zigeuner» angegriffen und verjagt. Bei einem solchen Vorfall spielt aber auch die Autoritätshörigkeit eine große Rolle: Die Tendenz nach unten zu treten bezeichnet Horkheimer als «konformistische Rebellion». Das heißt: Die Menschen haben das Gefühl, sich aufzulehnen gegen das, was gerade schief läuft, wenden sich aber gegen jene, die sowieso schon ausgegrenzt und unerwünscht sind und verhalten sich damit konformistisch mit den bestehenden Herrschaftsverhältnissen.

Das ist dann wohl das, was vor kurzem in Bulgarien passiert ist …Das könnte man so interpretieren. Bezüglich Bulgarien muss ich aber anmerken, dass meine schlimmsten Befürchtungen dort erfreulicherweise nicht wahr geworden sind. Ich hätte mir auch gut vorstellen können, dass nach einem solchen Vorfall nicht 2000 Menschen demonstrieren, sondern 20.000, aber das war zum Glück bis jetzt nicht der Fall.

Glaubst du, kann man – etwa mit kreativen Aktionen – bei Ausschreitungen eingreifen und zumindest bei denen was bewirken, die nur mitlaufen?  Bei Vorfällen dieser Art, etwa 1992 in Rostock-Lichtenhagen oder jetzt im tschechischen Varnsdorf, war das so eine Art Volksfeststimmung: Da stehen viele Leute rum, da wird Bier verkauft, manchmal passiert was, manchmal nicht. Das ganze Dorf fühlt sich geeint. In so einer Situation lässt sich meines Erachtens mit Aufklärung oder kreativen Aktionen nicht viel machen. Da geht es mehr darum, die Betroffenen zu unterstützen und zu schützen. In Rostock-Lichtenhagen betrafen die Ausschreitungen Rom_nia aus Rumänien, die vor den dortigen Pogromen in die BRD geflohen waren. In Deutschland herrschte damals ein stark antiziganistisch geprägtes Klima. Politiker_innen – auch der großen Volksparteien – haben sich diffamierende Kommentare geleistet. In Rostock gab es Gegendemonstrationen und in Varnsdorf zumindest vereinzelt solidarische Unterstützung der Betroffenen.

In Österreich kommt Antiziganismus oft im Zusammenhang mit Bettler_innen zum Ausdruck. Man geht davon aus, dass sie Rom_nia sind und schreibt ihnen viele negative Eigenschaften zu. Politiker_innen verwenden antiziganistische Stereotype um Bettelverbote durchzusetzen. In den österreichischen Medien wird häufig ein Kriminalbeamter zitiert, der bettelnden Rom_nia generell kriminelles Handeln unterstellt. Solche Aussagen, ständig wiederholt, schüren Hass und machen Antiziganismus salonfähig. Was kann man dagegen tun? 
In Deutschland hatte ein Kriminalbeamter in der Zeitschrift «der kriminalist» Rom_nia und Sinti_zi u.a. als «Maden im Speck» und als «Sozialschmarotzer» bezeichnet. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat dann beim UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung Beschwerde eingelegt. Der UN-Ausschuss hat immerhin festgestellt, dass die Aussagen des Beamten diskriminierend und diffamierend sind und über den Vorfall wurde medial berichtet. So lässt sich über den gerichtlichen Weg eine Gegenöffentlichkeit erzeugen. Ich halte aber auch Aufklärungsarbeit für ein wichtiges Mittel. Man kann bei Medien Druck machen und gleichzeitig versuchen, immer wieder über Diskriminierung aufzuklären. Das ist halt sehr kleinschrittig.
Man sollte jene, die solche Ablehnung propagieren aber auch konfrontieren: «Was ist überhaupt das Problem mit Bettler_innen?» Darauf wird meist mit einem diffusen «die sollen hier nicht sein» oder «hier muss wieder Ordnung hergestellt werden» geantwortet. Diese Ablehnung, die gegen bettelnde Rom_nia besteht, speist sich aus völkischen, sozialtechnologischen und rassistischen Diskursen und ist mit demokratischen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Diese Idee der «geordneten», der «sauberen» Gesellschaft gibt es in dieser Form seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und sie steht in der Tradition der Gesetze gegen vermeintlich «Asoziale» und «Arbeitsscheue». Die Methoden sind heute zwar weniger radikal, aber es geht immer noch darum, dass Menschen, die nichts Verbotenes machen, die einfach nur nicht in bestimmte Weltbilder passen, verschwinden sollen.

http://www.augustin.or.at/article1844.htm

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