Posts Tagged ‘Bettelmafia’

Wie wird man eine „Bettelmafia“?

Mai 18, 2014

bettler1Stellen Sie sich vor, Sie gehören zu jenen vier Millionen RumänInnen, die in den letzten Jahren ihre Arbeit verloren haben. Die Sozialhilfe, die Sie erhalten, beträgt 50 Euro plus 20 Euro für Ihre beiden Kinder. Sie wissen nicht, wie Sie damit über die Runden kommen. Zum Glück schickt Ihre Schwester Ihnen manchmal via Moneygram etwas Geld. Ihre Schwester ist in Wien und bettelt. Endlich erfahren Sie, dass die Familie Ihrer Schwester eine eigene Wohnung gefunden hat. Sie können nachkommen.

Ihre Schwester schickt Geld und Sie fahren mit dem Sammeltaxi, das zwischen Wien und Ihrer Heimatstadt Pitesti verkehrt, nach Wien. (more…)

„Stille Nacht, Heilige Nacht“ – zu Besuch bei den BettlerInnen im 15. Bezirk

Dezember 26, 2013
© Regina Schmid

© Regina Schmid

Eli und Regina machen bei unseren monatlichen Rechtsberatungstreffen im Amerlinghaus die Kinderbetreuung. Für Weihnachten haben die beiden sich etwas Besonderes überlegt: statt sich innerhalb ihrer Familien zu beschenken, gingen heuer die Geschenke an die Kinder der BettlerInnen und StraßenzeitungsverkäuferInnen, die sie bei den Rechtsberatungsabenden kennengelernt haben. Findet hier Elis Bericht:

Stille Nacht! Heil’ge Nacht! Alles schläft, einsam wacht; Nur das traute heilige Paar. Holder Knab‘ im lockigen Haar; Schlafe in himmlischer Ruh! Schlafe in himmlischer Ruh!

Unglaublich – ein Parkplatz direkt vorm Haus und das, obwohl wir mit dem großen Auto unterwegs sind. Denn es war doch möglich mit relativ begrenztem Budget, all die Wünsche der Kinder nach Scootern, Puppen und Lego aber auch jene der Eltern nach warmen Winterschuhen und Gewand für ihre Kinder zu erfüllen und damit stapeln sich jetzt einige große Pakete und Säcke in unserem Auto.

15. Bezirk, eine Seitengasse vom Gürtel. Hoffentlich treffen wir auch jemanden an. Vor dem Haus steht ein Mann und raucht. Er spricht uns an, weil wir suchend herumschauen. Obwohl wir kein Bulgarisch sprechen und er kein Deutsch, merken wir gleich, dass wir richtig sind.  (more…)

Die Polizei hat eine gefährliche Bande erwischt, das ist die Bettelmafia:

September 12, 2013
praterkasperl„Sie haben […] an einem öffentlichen Ort als Beteiligter einer organisierten Gruppe (d.h. in bewusster Verabredung von mindestens 3 Personen) um Geld oder geldwerte Sachen gebettelt. Konkret haben Sie folgende Tathandlung/en gesetzt: Sie haben vorbeigehende Passanten um Geld angebettelt, indem Sie diesen Ihre Hände entgegen gehalten haben. In Ihrer unmittelbaren Nähe haben [ N.N.] und [ X.Y. ] ebenfalls gebettelt, wobei sie zu diesen Personen ständigen Sichtkontakt hatten.“Wieder ein paar Hunderter für die Staatskassa oder eben Gefängnis für die „Bande“: für 100 Euro Strafe sitzt man immerhin 4 Tage (1 Euro = 1 Stunde).

Deshalb: am Freitag zum Kasperl kommen und „Betteln-ist-erlaubt“ Broschüre mitnehmen! (K)ein Kasperltheater, 13.9.2013 10 Uhr, Bundespolizeidirektion Wien https://www.facebook.com/events/638919602809224/?ref=22

Liebe Geber_innen, sammelt Strafverfügungen!

Juli 19, 2013

IMGA0337„Geben Sie Bettelnden nichts, denn sie sind Opfer der Bettelmafia. Sie müssen das Geld an böse Hintermänner abliefern,“ sagen uns Polizei und Boulevard. Beweise für diese Unterstellung haben sie nicht. Die Bettelnden erzählen hingegen, dass ihnen ihr Geld von der Polizei abgenommen wird, in den meisten Fällen ohne Bestätigung.

Vielen werden auch alle Zeitungen, die sie zum Verkauf bei sich haben, abgenommen – ebenfalls ohne Bestätigung. Eine Frau erzählt, dass ihr ein Polizist den Ausweis zerschnitten und den Meldezettel zerrissen hat. Manche berichten, dass sie von der Polizei im Streifenwagen mitgenommen und in einem Wald oder in unbewohntem Gebiet vor der Wiener Stadtgrenze an die Luft gesetzt wurden. Manche der Bettelnden mussten sich in Polizeiwachzimmer ausziehen. Und viele erhalten Strafverfügungen. Diese listen absurde Verwaltungsübertretungen wie das „unbegründete Verharren am Gehsteig“ oder „eine ausgestreckte Hand“ auf, die in der Regel mit je 100,- Euro sanktioniert werden. Die verhängten Strafen machen dann im Schnitt zwischen 300,- und 500,- Euro aus. Die BettellobbyWien hat beschlossen, diese Strafpraxis an die Öffentlichkeit zu bringen. Zu diesem Zweck möchten wir weitere Strafverfügungen sammeln.

Liebe Geberin, lieber Geber, treten Sie mit dem Bettler oder der Bettlerin Ihres Vertrauens in Kontakt und fragen Sie nach Strafverfügungen. Borgen Sie sich diese Verfügungen aus und schicken Sie uns eine Kopie oder einen Scan davon.

Die Strafverfügungen werden von uns nur in anonymisierter Form verwendet. Für öffentliche Lesungen bei der WienWoche 2013, für Artikel und wissenschaftliche Arbeiten. Helfen Sie mit! Damit auch Ihre Spende den Armutsbetroffenen direkt hilft und nicht in den Händen der Polizei landet!

Kontakt: bettellobbywien@gmx.at

Hochburg der „Bettelmafia“?

März 6, 2013

gumpendorferstraßeEs gibt viele solcher Häuser in Wien: abbröckelnder Putz, feuchte Mauern, Sperrmüll im Innenhof. Warum ein Haus in der Wiener Gumpendorferstraße von 200 Polizei- und MagistratsbeamtInnen gestürmt wurde, hat wohl andere Ursachen: Hier wohnen auch ZeitungsverkäuferInnen und Flüchtlinge. Weil einige der BewohnerInnen auch schon mal bettelten und noch dazu aus Rumänien stammen, wurden sie von BehördensprecherInnen in den Medien als „Bettelbanden“ diffamiert. (Die rumänische Übersetzung finden Sie hier.)

Ein Lokalaugenschein der BettelLobbyWien. 

Foto: Von Behörden und Medien als „Bettelmafia“ diffamiert: BewohnerInnen eines Hauses im 6. Bezirk.

Schon vor Weihnachten bezeichnete die Krone das Haus in der Gumpendorferstraße als „Hochburg der Bettelmafia“ und provozierte damit  rassistische Postings. Auch ÖVP Sicherheitssprecher Wolfgang Ulm fühlte sich auf den Plan gerufen: „Die Behörden müssen endlich handeln!“ forderte er unisono mit der Kronenzeitung. (more…)

Wien: Massiver Polizeieinsatz und rassistische Hetze gegen Armutsbetroffene

Januar 28, 2013

polizeiVerfolgung und Vertreibung von Minderheitenangehörigen steht im vereinten Europa auf der Tagesordnung. Auch in Wien wird massiv Druck gemacht: 200 PolizistInnen stürmten Dienstagnacht ein Haus im 6. Bezirk. Bis zu vier Stunden mussten die BewohnerInnen – viele von ihnen Roma aus Osteuropa – in der Kälte stehen. Die Boulevardmedien Krone und Österreich brachten rassistische Berichte zum „Massenquartier“ und den „skandalösen Zuständen“. Auch Wien heute berichtete am 24.1. darüber. Wer den Wien heute Bericht genau anschaut, sieht Bilder von ordentlich aufgeräumten Zimmern und verängstigen BewohnerInnen, die vor allem eins versuchen: Klar zu machen, dass sie arm sind und versuchen für sich und ihre Familien den Lebensunterhalt zu bestreiten, und dass sie sich immer wieder gegen das Vorurteil zur Wehr setzen müssen, von der Bettelmafia ausgebeutet zu werden. Der Skandal ist also nicht das Haus – auch wenn es baulich nicht im besten Zustand sein mag –  und schon gar nicht seine BewohnerInnen, sondern der massive und verstörende Einsatz von Polizei und Magistrat gegen Armutsbetroffene und die rassistische Berichterstattung. Statt auf Aufklärung und Sachlichkeit zu setzen, wird mittels unreflektierter Meldungen an die Boulevardmedien zusätzlich Öl ins Feuer der Hetzkampagnen gegossen. In einem offenen Brief an Bürgermeister Häupl verurteilen wir diese Vorgehensweise.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl!

Ein Haus in der Gumpendorferstraße im 6. Bezirk wird wöchentlich von der Polizei aufgesucht. Viele der BewohnerInnen sind armutsbetroffen. Sie verkaufen Zeitschriften, arbeiten gelegentlich oder betteln. Wir von der BettelLobbyWien haben das Haus schon öfters besucht und mit den BewohnerInnen gesprochen: Die Menschen sind froh, dass sie hier eine Bleibe gefunden haben. (more…)

Die sogenannte Bettelmafia…

Januar 11, 2013

Als Hauptargument für Bettelverbote wird seitens politischer EntscheidungsträgerInnen gerne das Bild der sogenannte „Bettelmafia“ kreiert. Auch der steirische Landeshauptmann Voves argumentierte mit Villen in Rumänien und ausbeutenden Hintermännern um ein Bettelverbot durchzusetzen, das gestern vom Verfassungsgerichtshof gekippt wurde.

Bei unserer Pressekonferenz am 13.12.2012 forderten wir die JournalistInnen auf, bei der Polizei nachzufragen, ob schon mal ein „Bettelmafiaboss“ verurteilt wurde. Barbara Sorge von der Wiener Zeitung hat nachgefragt und erhielt von der Bundespolizeidirektion folgende Aussage: „Wie viele Menschen bestraft wurden, die andere zum Betteln zwingen, könne man nicht sagen.“ Es gab aber „bis November dieses Jahres insgesamt 1338 Anzeigen wegen Bettelei, davon vier Anzeigen wegen Bettelei mit Kindern und 28 wegen organisierter Bettelei. Die meisten Anzeigen gab es wegen aufdringlichen (771) und wegen gewerbsmäßigen Bettelns (423)“ (Zitat Wiener Zeitung). Übrigens: für „organisierte Bettelei“ kann mensch bereits bestraft werden, wenn er/sie zu dritt betteln geht.

Nur in zwei Fällen ermittelt, trotzdem spricht Polizeioberst immer wieder von „Bettelmafia“.

Oktober 4, 2011

„Bettelei ist eine dramatische Form des Menschenhandels und der Ausbeutung“ erzählt Oberst Gerald Tatzgern vom Bundeskriminalamt gerne den Medien: verschwindend gering sei jener Teil von Bettlern, die tatsächlich für sich selbst auf der Straße sitzen… (News Sept. 2010, Kleine Zeitung 2011)

„Das lässt sich durch konkrete Erhebungsergebnisse so nicht beweisen und als Polizist kann ich Ihnen jetzt keine Vermutungen erzählen, sondern nur das, was sich beweisen lässt.“ sagte sein Kollege Peter Goldgruber von der Bundespolizeidirektion Wien im Dezember 2009 zur Frage nach den mafiösen Bettelbanden in Ö1.

Hat die österreichische Polizei zwischen 2009 und 2011 also so fleißig ermittelt, dass es jetzt  Beweise gibt, dass fast alle BettlerInnen zum Betteln gezwungen werden? (more…)

Eine Mafia, die bettelt?

August 30, 2011

Wer nach Österreich kommt, um hier zu betteln, hat zu Hause materiell kaum noch etwas zu verteidigen. Die Filmemacherin Ulrike Gladik hat BettlerInnen nach Bulgarien und in die Slowakei begleitet. Ihre Schilderungen lassen den Begriff Prekariat neu definieren. (Erscheint im MO Magazin für Menschenrechte am 17.9.2011)


Baracke am Stadtrand von Sofia: Viele OsteuropäerInnen betteln bei uns, weil sie wissen, dass der Verlust der Wohnung der Anfang eines Abstiegs ist, aus dem ihre Familie über Generationen nicht mehr so leicht herauskommen würde.

Es war im Winter 2001. Ich war damals Austauschstudentin an der Kunstakademie in Sofia. Bei einem Spaziergang entdeckte ich hinter den Plattenbauten von Druzhba kleine, zeltähnliche Behausungen. Kinder mit verfilzten Haaren zogen einen Wagen voll Wasserflaschen. „Ja, wir wohnen hier“, bestätigten sie mir und forderten mich auf, mitzukommen. Eine Frau zeigte mir ihre Hütte aus Alublech und Karton. Statt einer Tür hingen alte Decken vor dem Eingang. In einer kleinen Blechtonne brannte ein Feuer, darauf stand ein Kochtopf: „Das sind Linsen, Linsen vom Müll“, erklärte mir eine Frau namens Slavka. (more…)

BettellobbyistInnen im Journal-Panorama am Donnerstag, 11.3.2010 18:25, Oe1

März 10, 2010

Wer fürchtet sich vor der Bettelmafia?
Die Debatte um das Bettelverbot

Sie sitzen oder knien am Straßenrand am Asphalt und bitten um Almosen. Vielen von ihnen fehlt ein Bein oder ein Arm. Seit einigen Jahren sieht man in den heimischen Einkaufsstraßen immer mehr Bettler und Bettlerinnen aus Osteuropa. Und die erhitzen die Gemüter. 

In der Steiermark, in der heuer Landtagswahlen stattfinden, wird gerade heftig darüber diskutiert, ob man diesen Missstand nicht abschaffen könnte, indem man das Betteln ganz einfach verbietet. Und auch in Wien – wo heuer ebenfalls gewählt wird – plakatiert die FPÖ schon seit Monaten die Forderung nach einem allgemeinen Bettelverbot. Denn angeblich sind es organisierte Banden von Menschenhändlern aus Osteuropa, die diese Menschen ausbeuten und zum Betteln zwingen. (more…)


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