Archive for Mai 2014

15-20 Euro pro Tag: BettlerInnen berichten.

Mai 28, 2014

Bettler WienAufgrund der Medienberichterstattung vorletztes Wochenende, die BettlerInnen aus Osteuropa diffamierte und kriminalisierte, bat die BettelLobbyWien letzten Dienstag zu einem Treffen. Etwa 20 BettlerInnen und StraßenzeitungsverkäuferInnen kamen, kommentierten die Medienberichte und erzählten über ihr Leben. Besonders aufgebracht waren sie über die Höhe des angeblichen Verdienstes, der in den Medien verbreitet wurde und über die Darstellung von BettlerInnen als Angehörige von Menschenhändlerringen und Banden. Hier einige der Zitate.

„Ich höre das zum ersten Mal, dass es bei uns Chefs geben soll“ sagt Herr Iancu, „mein Chef ist meine Familie, meine zwei Kinder, die von mir am Abend Geld wollen.“

„Wenn ich am Tag zwischen 300 und 1000 Euro verdienen könnte, hätte ich längst ausgesorgt und würde nach zehn Tagen für immer zurück nach Rumänien fahren“ sagt Herr Paduran: „Ich bin seit vier Jahren hier und verdiene 15-20 Euro am Tag.“ (more…)

SACHLICHKEIT STATT VERHETZUNG

Mai 28, 2014

In Anbetracht der jüngsten Entwicklungen in Salzburg, wo es aufgrund des auf den Rücken von BettlerInnen ausgetragenen Wahlkampfes nun zu gewalttätigen Übergriffen, Brandanschlägen und Nazischmierereien kam, sind Politik, Behörden und Medien umso mehr dazu aufgerufen, die Hetze gegen BettlerInnen einzustellen und die Armutsproblematik auf einer sachlichen Basis zu diskutieren.

AUFGABE DER MEDIEN

Wir sehen es als Aufgabe der Medien, Informationen zu überprüfen und richtig wiederzugeben, Gegendarstellungen einzuholen und zu recherchieren.

BESORGNIS ERREGENDE PRAXIS IN WIEN

Der BettelLobbyWien liegen mittlerweile unzählige Berichte von BettlerInnen vor, wonach sich diese bei der Polizei ausziehen müssen, ihnen das Geld abgenommen wird, sie mit teils vorgefertigten Strafverfügung für Dinge bestraft werden, die sie nicht gemacht haben. Die BettelLobby Wien bekämpft diese Praxis mit Maßnahmenbeschwerden und Einsprüchen gegen die Strafen.  Die Wiener Linien machen regelmäßig „Bettlerrazzien“, die Wiener Polizei erstellt „Bettlerkarteien“, setzt eigene „Bettlerstreifen“ ein und kennzeichnet Unterlagen mit einem roten Stempel „BETTLER“. Gerade im Zuge der in den Medien statt findenden Kriminalisierung ist diese Praxis höchst gefährlich. (more…)

Bettlerstreifen, Bettlerrazzien und JournalistInnen: gemeinsam gegen BettlerInnen?

Mai 23, 2014

22C-6e-20140514111951Am 16.5.2014 präsentierte Oberst Tatzgern vom Bundeskriminalamt ausgewählten JournalistInnen einen „Kronzeugen“, der von seinen „Hinterleuten“ gepeinigt wurde und für sie täglich bis zu 1000 Euro erbettelte. Weder machte die anwesenden Journalist_innen diese absurde Summe stutzig, noch gelang es ihnen, den Tatbestand des „Menschenhandels“ von einem ganz anderen Tatbestand zu unterscheiden, der von Tatzgern in den Raum geworfen wurde. Tatzgern nannte 430 Personen, die wegen „organisierter Bettelei“ in Wien angezeigt wurden. „Organisiertes“ Betteln  ist jedoch kein Menschenhandel und kein Strafrechtstatbestand. Es handelt sich um ein Verwaltungsdelikt, bei dem Bettler_innen lediglich dafür bestraft werden, weil sie gemeinsam betteln, wie es viele machen, weil sie sich sicherer fühlen, wenn sie beim Betteln Sichtkontakt haben. „Organisiertes“ Betteln zu kriminalisieren, kommt der Kriminalisierung jeglichen Spendensammelns im öffentlichen Raum gleich.

Im „Standard“ wurden die 430 Personen, die wegen „organisierter Bettelei“ angezeigt wurden, aber zu dem „mutmaßlichen Menschenhändlerring“ einfach hinzuaddiert, ebenso in der „Presse“, die diese Vermengung dazu nutzte, um überhaupt zu vermelden, dass „jeder Zweite gewerbsmäßig oder unter Zwang“ bettelt. (more…)

Ein klares NEIN zur Kriminalisierung von BettlerInnen

Mai 19, 2014

IMGA0337Von 12.5. bis 14.5.2014 fand in Salzburg die Tagung ‚Betteln. Eine Herausforderung‘ statt. 370 Teilnehmer_innen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen – von Sozialarbeiter_innen und Forscher_innen über Personen aus Polizei und Politik bis zu Vertreter_innen von Geschäftsleuten, Roma-Vereinen und Menschenrechtsorganisationen – setzen sich differenziert mit dem Betteln auseinander; etwa mit den gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen, die Menschen Betteln als Überlebensstrategie ergreifen lassen, über Mythen und Forschungsergebnisse, über die rechtliche Situation, über Unterstützungsmöglichkeiten für nichtanspruchsberechtigte Armutsbetroffene. Nicht nur Expert_innen aus unterschiedlichen Bereichen waren miteinander im Gespräch. Auch bettelnden Menschen waren zur Tagung eingeladen worden und erzählten von ihrer Situation – für viele Teilnehmer_innen ein sehr wichtiger Programmpunkt.

Angesichts dieser breiten und differenzierten Auseinandersetzung auf der Tagung ist die momentane mediale Diskussion um „organisiertes“ Betteln umso bedauerlicher. Ausgelöst wurde sie durch die Aussagen von Herrn Oberst Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung des Menschenhandels im Bundeskriminalamt. (more…)

Wie wird man eine „Bettelmafia“?

Mai 18, 2014

bettler1Stellen Sie sich vor, Sie gehören zu jenen vier Millionen RumänInnen, die in den letzten Jahren ihre Arbeit verloren haben. Die Sozialhilfe, die Sie erhalten, beträgt 50 Euro plus 20 Euro für Ihre beiden Kinder. Sie wissen nicht, wie Sie damit über die Runden kommen. Zum Glück schickt Ihre Schwester Ihnen manchmal via Moneygram etwas Geld. Ihre Schwester ist in Wien und bettelt. Endlich erfahren Sie, dass die Familie Ihrer Schwester eine eigene Wohnung gefunden hat. Sie können nachkommen.

Ihre Schwester schickt Geld und Sie fahren mit dem Sammeltaxi, das zwischen Wien und Ihrer Heimatstadt Pitesti verkehrt, nach Wien. (more…)

Österreichs Hauptstadt des Antiziganismus (von d ROMa Blog)

Mai 4, 2014

Brandanschlag auf Matratzenlager von Bettlern in Salzburg (Foto: orf.at)Nirgendwo sonst in Österreich kam es in den letz­ten Wo­­chen und Mo­na­­ten zu einer ähn­­lich alar­mie­­ren­­den Häufung von Gewalttaten gegen Bettler bzw. Roma wie in Salz­­burg. Ein Überblick. Von d`ROMa Blog.

Die Debatte um das Bettelverbot, das Mitte 2012 vom Höchst­gericht als verfas­sungs­widrig auf­ge­hoben wurde, und der ver­gan­gene Wahlkampf, in dem auch die Stadt-ÖVP auf Stimmungs­mache gegen die Ärms­ten setzte, haben Ressen­timents geschürt – Emo­tionen, die sich in Salz­burg nun immer wieder auch in Gewalt ent­laden. Obwohl eineaktuelle Studie gerade erst ergeben hat, dass in Salzburg von einer Bettlermafia gar keine Rede sein kann, heizt selbst der Stadtpolizei­kommandant die Stimmung mit der For­de­run­gen nach einem rechtswidrigen Bettelverbot weiter an. Dass es nicht gerade zu den Gepflo­gen­hei­ten eines Rechtsstaates gehört, dass ein Polizei­chef eine eige­ne politische Agenda verfolgt (noch dazu eine, die sich um den Verfas­sungs­ge­richts­hof nicht küm­mert), sei hier nur am Rande ange­merkt. Welch besorg­nis­er­re­gende Aus­maße diese Gewalt bereits an­ge­nom­men hat, zeigt am besten folgende Zusam­men­stel­lung der doku­men­tier­ten Vor­fälle:

  • Erst Anfang dieser Woche gab es in der Stadt den jüngsten Vorfall: Die von der Caritas für Bettler eingerichtete kleine Winter-Not­schlafstelle „Arche Süd“ wurde von Neonazis beschmiert; auch auf Facebook gab es NS-Drohungen (Zitat: „Also für mich gibt es eine lösung! dieses scheiss gsindel nach mauthausen und mal duschen lassen in einer der berühm­tes­ten duschen welt weit!“). (more…)

Repressiver Umgang mit Armut – neue Diplomarbeit von Franziska Schulteß

Mai 4, 2014

fsÖffentliche Diskussionen zu Betteln in Österreich zeichnen sich durch eine erstaunliche Distanz zum Gegenstand aus. Wissen über die Lebensumstände von Bettler*innen, im Sinne eines direkten Einblickes und Austausches, ist kaum verbreitet. Diese Diplomarbeit untersucht die Sitzungen des Wiener Landtages und Gemeinderates von 1993 bis 2013, in denen über Bettelverbote diskutiert wurde, und stellt sie in den Kontext eines neuen repressiven Umgangs mit Armut unter dem Schlagwort „öffentlicher Sicherheit“. Die parteipolitische Debatte zeichnete sich durch einen Mangel an Wissen aus: stereotype Bilder, wie der Mythos einer „Bettlermafia“, und überlieferte Vorurteile wurden als Faktenwissen verkauft. Die Betroffenen selbst kamen nicht zu Wort. Stattdessen wurden irrationale Ängste geschürt und allgemeine Unsicherheitsgefühle bedient, um Strafen, Vertreibung und die Diskriminierung von Armutsbetroffenen zu rechtfertigen.

DIPLOMARBEIT FRANZISKA SCHULTESS
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