QUO VADIS, EUROPA?

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In EUropa gilt eigentlich die Personenfreizügigkeit. Nicht jedoch in Frankreich und Italien. Wer arm ist und verdächtigt wird, der Romaminderheit anzugehören, wird abgeschoben. Ja sogar Kataster werden angelegt. Listen, auf denen sie verzeichnet werden. In der Slowakei, Tschechien und Bulgarien baut man Mauern, um ihnen den Zugang zu den Städten zu erschweren. In Ungarn ziehen schwarz gekleidete Paramilitärs mordend und brandschatzend durch ihre Siedlungen.

In Wien werden sie von  Polizisten abgeführt und müssen bis zu 700 Euro Strafe zahlen, wenn sie betteln. In vielen Wiener Schaufenstern hängen jetzt auch noch Plakate, die davor warnen, ihnen Geld zu geben. Wegen der Hintermänner heißt es, die sich Paläste bauen, Mercedes fahren und ihnen das Geld abnehmen. Hintermänner, die niemand getroffen hat, die aber stets bemüht werden, um BettlerInnen pauschal zu kriminalisieren. Um immer wieder neue Bettelgesetze zu rechtfertigen, vor einer Öffentlichkeit, die eigentlich gerne hilft, weil die meisten Menschen sich vorstellen können, wie es ist, arm zu sein. So wie die GrazerInnen auch Natasha Kirilova, der „Heldin“ meines Filmes, geholfen haben. Sie hat zwei Jahre lang in Graz gebettelt. Viele kennen sie. Sie saß vor der Stadtpfarrkirche. Von morgens bis abends. Obwohl sie es hasste zu betteln. Doch es gab keine andere Möglichkeit. Keine Arbeit und Sozialhilfe und Pensionen  sind in Bulgarien so gering, dass niemand davon leben kann. Die Familie wäre um ein Haar obdachlos geworden. Doch sie hat es geschafft. Das Haus ist abbezahlt, die Kinder besuchen die Schule und die Hoffnung lebt, doch wieder mal Arbeit zu finden. Hätte Natasha Kirilova nicht in Graz betteln können, wären sie und ihre Familie jetzt auch in einem der Slums gelandet. Von wo aus kein Kind mehr die Schule besucht und niemand mehr einer geregelten Arbeit nachgehen kann. Denn hier regieren Hunger, Kälte, Krankheit und Tod.

Statt Armut nachhaltig zu bekämpfen, was eigentlich die Aufgabe der Politik wäre, wird mit Bettelverboten versucht, Armut unsichtbar machen. Es wird Politik gemacht, die ein Klima der Intoleranz auf dem Rücken benachteiligter Menschen schafft. Beunruhigend, denn gerade in Krisenzeiten sollte die Politik rechtsextremen Strömungen entgegenwirken, statt ihrerseits Ressentiments zu schüren und Hilfe suchende Menschen zu kriminalisieren. (Der Kommentar erschien in der Grazer Straßenzeitung Megaphon)

Ulrike Gladik lebt als freischaffende Filmemacherin in Wien. In ihrem Dokumentarfilm „Natasha“ hat sie eine Bulgarin, die in Graz bettelte, zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet. www.natasha-der-film.at

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4 Antworten to “QUO VADIS, EUROPA?”

  1. E. V. Berg Says:

    Wie der Artikel von Ulli Gladik zeigt, kann Betteln im „reichen Westeuropa“ als Übergangslösung eine Familie im vergleichsweise armen Osteuropa retten. So wie der kleine Steuerstrom eines Relais einen großen Strom einschaltet, kann unsere kleine Hilfe hier anderswo Entscheidendes bewirken. In diesem Sinn muss die Möglichkeit zum Betteln als „Notlösung“ (auch im wahrsten Sinn des Wortes zur Lösung der Not) entgegen allen Trends zu privaten und öffentlichen Bettelverboten offen bleiben.

    Was kann man tun? Dazu ein Vorschlag: Ich habe heute die Wegweisung einer Bettlerin von einem Hofer-Markt in Graz beobachtet. Unmittelbar kann man da nichts machen, denn Hofer nutzt sein „Hausrecht“. Wenn ich z.B. sage, dass mir das nicht gefällt, kann das dem Marktleiter egal sein, selbst wenn ich dazusage, dass meine 7-köpfige Familie ca. 60 Euro pro Woche oder ca. 3000 Euro pro Jahr bei Hofer umsetzt. Wenn aber 1000 Menschen, die ebenso empfinden, eine Liste unterzeichnen, die der Firma Hofer zugestellt wird, verbunden mit der Bitte, das Betteln zu tolerieren, andernfalls man sich nach einer anderen Einkaufsquelle umsehen wolle, dann kann das sehr wohl eine Wirkung entfalten. Hofer macht mit etwa 500 Märkten etwa 3 Mrd. Umsatz pro Jahr, also etwa 6 Mio. / Markt. Die 1000 Unterschriften stünden dann etwa für den halben Jahresumsatz eines Hofer-Marktes. Das ist zwar immer noch nicht gigantisch viel, nachdem Hofer aber 2009 erstmalig Marktanteile in Österreich verloren hat, wird es der Geschäftsleitung zu denken geben.

    Mein Vorschlag wäre also konkret, dass auf dieser Web-Seite eine Möglichkeit geschaffen wird, so eine Liste zu unterzeichnen, mit der Hofer zur Duldung und Akzeptanz des Bettelns vor seinen Märkten gebracht werden kann. Unbestreitbar ist, dass Betteln gegenüber Arbeit immer die schlechtere Lösung darstellt. Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen wäre deshalb klar wichtiger, ist aber viel schwieriger und zeitaufwendiger und solange bis man wieder Arbeit gefunden hat, muss man eben noch betteln dürfen.

    LG
    Eberhard

    • akbettlerinnen Says:

      Vielen Dank für Ihren Beitrag. Es kommt leider immer wieder vor, dass BettlerInnen vor Hoferfilialen verjagt werden. Häufig wird auch die Polizei gerufen. Hofer ist nicht die einzige Supermarktkette, die gegen Bettler vorgeht, aber wir hören am öftesten von Hofer. Da in den Innenstädten Bettler oft vertrieben werden, gehen sie an die Peripherie, aber auch hier werden sie nicht geduldet. Hofer war in Wien auch die erste, die auch die WKO Plakate hängen hatte. Die BettelLobby berichtete. Auch wir boykottieren Hofer. Es gab auch viele Protestbriefe an die Firma Hofer. Seit einiger Zeit wurde uns nicht mehr berichtet, dass dort noch Plakate hängen. Die Albrechtfamilie gehört übrigens zu den Reichsten der Welt. Sie haben sich unheimlich bereichert. Eine Schande, dass gerade ihr Konzern besonders massiv gegen Arme vorgeht. Falls Sie einen Protestbrief schreiben, stellen wir den gerne auf die Webseite mit der Aufforderung, dasselbe zu tun. Eine Unterschriftenliste haben wir bis jetzt nicht gemacht, aber vielleicht hilft uns ja mal jemand dabei?!…. liebe Grüße Die BettelLobby

  2. E. V. Berg Says:

    Nachtrag zum Vorschlag: Unterschriftenliste für Tolerierung des Bettelns.

    Weiß nicht, ob ich da vor einem Hofer-Markt in Graz nur einen Einzelfall beobachtet habe, oder ob das die generelle Linie bei Hofer ist. Das wäre vor dem Aufsetzen einer solchen Liste natürlich noch zu klären. Vor dem Merkur und vor dem Lidl-Markt habe ich solche Vorfälle aber ebenfalls schon gesehen, so dass ich vermute, dass es zumindest eine verbreitete lokale Praxis ist. Es wäre also zuerst eine Anfrage an die Firmen zu richten und dann kann man gegebenenfalls eine Unterschriftenaktion ins Leben rufen.

    LG
    Eberhard

  3. dROMa-Blog | Weblog zu Roma-Themen | Ulli Gladik: Quo vadis, Europa? Says:

    […] und aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Die Filmemacherin Ulli Gladik, Mitarbeiterein der BettelLobbyWien, schreibt in der Straßenzeitung Megaphon über das drohende Bettelverbot in […]

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